Mit dem Wort «Mitte» verbinden wir sehr hohe Erwartungen. Die CVP greift auf diese positive Bedeutungsvielfalt zurück und nennt sich neu «Die Mitte». Die Autorin diskutiert die politischen Anforderungen, die sich aus dem Namenswechsel ergeben und plädiert für ein «Under-cover-Christentum».
«In der Mitte sein» meint eine Erfahrung, die meditierenden Menschen sehr vertraut ist: Mit dieser Metapher werden Bewusstseinszustände beschrieben, die sich durch besondere Klarheit und Präsenz auszeichnen und auch mit Begriffen wie Stille, Leere oder Eins-Sein umschrieben werden können. Sie sind Ausdruck einer schweigenden Rückbesinnung auf das Göttliche in uns.
Dagegen bezieht sich die Formulierung «die innere Mitte finden» eher auf unsere Persönlichkeit und bedeutet, eine ausgeglichene Haltung zu bewahren zwischen den zahllosen widersprüchlichen Impulsen, die wir Tag für Tag erleben: Soll ich mir selbst einen Gefallen tun oder lieber für andere da sein? Jetzt noch hart arbeiten oder doch lieber ausruhen? Die Wahrheit sagen oder rücksichtsvoll schweigen? Wenn wir aus unserer inneren Mitte heraus sprechen oder handeln, ist unser alltägliches diskursives Denken endlich zur Ruhe gekommen. Ja, es wird sogar möglich, mit einer geradezu charismatischen Überzeugungskraft andere Menschen für unsere Anliegen zu gewinnen. Und da ist noch eine Metapher, die mir gut gefällt: «Die Rückkehr zur Mitte» überwindet auch in heftigen zwischenmenschlichen Konflikten scheinbar unvereinbare Gegensätze und bahnt den Weg zu mehr Friedfertigkeit und Versöhnung.
Die Mitte fühlt sich gut an.In der Mitte sein – diese Geisteshaltung gibt uns einen klaren Blick auf das Notwendige und auf das Machbare. Mehr noch: Wenn wir «in der Mitte sind», funktioniert unser Gehirn sehr viel effektiver und überrascht uns nicht selten mit kreativen Ideen. In den Sternstunden unseres menschlichen Geistes kann der Gegensatz zwischen These und Antithese in der Synthese aufgelöst werden. Bahnbrechende Erfindungen werden möglich. Etwas wirklich Neues entsteht. Der schöpferische Funke kann überspringen …
Der Name als ProgrammUnd nun hat sich eine politische Partei der Schweiz den Namen «Die Mitte» gegeben. Ich begrüsse dies sehr: Es kommt einem schon lange überfälligen Selbstauftrag gleich, in der politischen Landschaft ganz entschieden als «Mitte» oder «Mittler» zu wirken. Ich erwarte viel von einer Partei, die sich «Die Mitte» nennt und wünsche mir nichts weniger als eine Politik von Menschen, die in ihrem Reden und Handeln in der Öffentlichkeit als Meditierende erkennbar sind! Die den Geist der Meditation in sich tragen als einer «Mitte» in allen drei Ausdrucksformen: Rückbesinnung auf das Göttliche in uns, Überzeugen durch Integrität und dezidierte Friedfertigkeit. So eine Partei «Die Mitte» wünsche ich mir.
Kein Mittelmass!Dies bedeutet: Man verzichtet auf eine Politik des Mittelmasses, bei der nur Kompromisse errechnet oder ausgehandelt werden, die einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Man funktioniert auch nicht als das «Zünglein an der Waage», denn dies bietet keinen politischen Mehrwert. Nein, ich wünsche mir: «Die Mitte» verbindet in der politischen Diskussion die besten Argumente Andersdenkender zu wirklich kreativen Beschlussfassungen. So verlieren Extrempositionen ihre Wucht und das einander ausschliessende Entweder-oder wandelt sich in ein verbindendes Sowohl-als-auch.
Und das «C»?Braucht es dann noch den Buchstaben «C» für «Christlich» im Parteinamen? Gegenfrage: Kann man nicht auch authentisch christlich reden und handeln, ohne das «C» als Identitätsnachweis auf Briefpapier und Plakate zu drucken? Ja, kann ich nicht sogar als wahrhaftiger Undercover-Christ und als überzeugte Under-cover-Christin in einer säkularisierten Welt viel mehr für meine Mitmenschen tun und für die Bewahrung der Schöpfung, wenn ich diesen Buchstaben bescheiden beiseitelasse? Und mich nur immer wieder aufs Neue mit meiner Mitte verbinde? Bei Matthäus Kapitel 7, Vers 16, wird der Blick auf die Ergebnisse der Aktivitäten der Glaubenden gelenkt zu einer Zeit, als es noch keine «C»-Parteien gab. Dort heisst es schlicht: «An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.»
Von Anette Lippeck (Mitglied CVP Stans)
(Text ist erschienen im Pfarreiblatt Uri Schwyz Nr. 22, 2020)